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Indien-mein Eindruck
22rd Feb -Written By Mildus Gibkus
Der letzte Tag unseres Aufenthaltes in Indien bricht an. Ich überlege, ob ich noch einmal hierher kommen würde. Die vergangenen 3 wochen waren so ereignisreich, fremdartig und intensiv, dass es mir viel länger vorkommt, als in meiner gewohnten Umgebung in Deutschland oder ein Pauschalurlaub AllInclusive. Es war eben nicht nur Sightseeing und Strand hier. Kenne ich jetzt Indien oder die Inder? Mit Sicherheit nicht. Ich stelle mir vor, ein Inder besucht Europa und fährt nur durch Griechenland und Albanien. Danach weiss er soviel über Europa, wie ich jetzt über Indien. In 3 Wochen als Tourist schaut man, selbst wenn man so freundschaftlich wie wir hier aufgenommen wird, nur auf die Oberfläche. Alles bleibt mehr oder weniger fremd und man fragt sich, warum sich die Inder das Leben in vielen praktischen Dingen nicht einfacher machen (aus der Sicht eines Deutschen natürlich). Dieser Ausflug in eine andere Welt mit Menschen in einer anderen Realität wird in uns noch lange nachwirken. Wir schütteln unseren Kopf angesichts vieler unverständlicher Gegebenheiten, sind uns jedoch bewusst, dass auch wir ins unser eigenen
Gesellschaft vieles nicht oder anders wahrnehmen, als ein Fremder es tun wird. Mit der Zeit verändern sich die Wichtigkeiten und die Gewohnheit akzeptiert vieles.
Das erste, was uns beeindruckt hat, war der Verkehr. Ein amerikanischer Freund, der vorher in Marokko war meinte, "in Maroque they're driving crazy, but here they're nuts". Das stimmt. Jeder Überhol- oder Abbiegevorgang wird mit Hupen angekündigt. Es herrscht ein unbeschreiblicher Lärm, vor allem in Städten. Die einzige Regel scheint zu sein, irgendwie durchkommen, ohne einen anderen Verkehrsteilnehmer zu berühren. Andere Verkehrsteilnehmer können, unabhängig vom Strassentyp Highway oder Dorfgasse, Autos, LKW's, Mopeds mit bis zu fünf Personen, dreirädrige Motorrikschas mit bis zu 12? (wir konnten es nicht zählen, vorgesehen sind die Rikschas für maximal 3 + Fahrer), Fussgänger, Kühe, Schweine, Hunde, oder Ochsenkarren in beliebiger Fahrtrichtung sein, d.h. auch auf dem Highway muss man auf seiner Seite mit entgegenkommenden Verkehr rechnen, nachts auch unbeleuchtet.
Da hilft es auch nicht, dass bei Dunkelheit lieber mit Dauerfernlicht gefahren wird und somit alle mehr oder weniger blind beten. Viele Inder fahren denn auch bei Dunkelheit nur sehr ungern, vor allem in fremden Gegenden. Die Inder haben kein Gefühl für Geschwindigkeit (wurde uns gesagt), daher sind überall auf den Strassen sogenannte Speedbreaker eingelassen, das sind ein bis sechs bis 30cm hohe Erhebungen im Strassenbelag, in der Regel unangekündigt und durch nichts angezeigt, die bei Nichtbeachtung und Geschwindigkeiten jenseits der Schrittgeschwindigkeit zum Achsbruch führen. Die Strassen sind in den ländlichen Gebieten grundsätzlich einen Meter zu schmal und ohne befestigten Seiten. Das führt dazu, dass sowohl entgegenkommende, wie auch überholende Fahrzeuge immer auf der Belagskante fahren und der Strassenbelag innerhalb kurzer Zeit wegbricht. Dementsprechend ist der Zustand vieler Strassen, was auf unserer 2200km langen Tour zu einer Durchschnitts-geschwindigkeit von etwa 40 km/h geführt hat. Vorteil dieser Art von Verkehr ist, dass alle Verkehrsteilnehmer sehr aufmerksam und konzentriert sind und es bemerkenswert selten zu Unfällen kommt.
Die Seitenstreifen entlang der Strassen werden als öffentlicher Mülleimer genutzt. Je mehr Autos, je mehr Menschen, desto mehr Müll, vor allem Plastik. Scheibe runter, Müll raus, vergessen. Überall an den Strassen stehen kleine Buden, notdürftig aus Ästen und graubraunem verrosteten Wellblech zusammen gezimmert, in denen Tee, Kaffee und kleine Snacks angeboten werden. Unser Fahrer hat ungefähr stündlich an einer solchen Bude Rast gemacht, um einen Tee zu trinken. Fast immer standen wir dabei knietief im Müll. Manchmal wurden eine Art Kroketten, Reisküchlein oder Gebäck frisch zubereitet. Der Teig wurde dazu auf einem klapprigen schwarzen Holztisch von einem zahnlosen alten Inder in schmuddeligen T-Shirt geknetet und in einem Topf mit Öl, der auf einigen brennenden Ästen stand, gebacken. David und ich haben noch zuviel nachgedacht, um uns darauf einzulassen, während die anderen unserer Gruppe fröhlich genießen konnten. Wohlgemerkt, alles unter freiem Himmel im Staub der vorbeifahrenden Autos und der im Müll wühlenden Kühe.
Langsam scheint ein Bewusstsein für die Müllproblematik zu entstehen. An vielen (vor allem touristisch besuchten) Orten stehen Verbotsschilder für Plastikmüll und Mülleimer sind aufgestellt.
In unserem Ort Marmallapuram wurden gerade Plastiktüten verboten und durch Papiertüten ersetzt. An der Wand des Gemeidehauses ruft ein riesiges Schild zu mehr öffentlicher Sauberkeit auf. Viele Inder(innen) fegen den ganzen Tag vor ihrem Haus und viele mit denen wir gesprochen haben, empfinden den Müll ebenso unerträglich, wie wir. Es wird sicher noch einige Generationen dauern, bis sich eine Abfallinfrastruktur ähnlich unserer entwickelt. Das gilt ebenso für Wasser und Abwasser. Viele Abwasserkanäle verlaufen offen an den Strassenrändern und werden von Kindern, Kühen und Hühnern genutzt.
Wir haben uns gefragt, ob man das Fleisch dieser Hühner bedenkenlos essen kann und uns fiel als Antwort ein, schlimmer als Dioxin-belastetes Industriefett-haltiges Hühnerfutter kann das auch nicht sein. Das Essen war für David und mich eine große Herausforderung und es brauchte seine Zeit, um einige Speisen zu finden, die unserem Geschmack nahe kamen. Am Anfang gab es nur scharf und sehr scharf, mittlerweile können wir etwas mehr differenzieren. Das indische Früstück ist noch nicht unser und wir wählen lieber Toast, Butter, Jam und auch die Gewohnheit mit den Fingern zu essen, wird die Gabel noch lange nicht ersetzen können. Sehr angenehm empfanden wir, dass mindestens die Hälfte der Gerichte vegetarisch sind, ich habe das Fleisch keinen Augenblick vermisst. Alles wird immer frisch zubereitet.
(David und ich wurden von Santosh zu sich zum Essen eingeladen, vegetarisch, Garnelen und Fisch - superlecker, gegessen wurde auf dem Boden)
Dagegen haben wir Brot und Brötchen, Käse und Wein sehr vermisst. In Tamil Nadu ist Alkohol (außer Bier) offiziell verboten, unter der Hand bekommt man natürlich alles. Allerdings ist es erstaunlich, dass eine Feier mit über 300 Personen auch ohne Alkohol funktioniert.
Marmallapuram ist im Vergleich zu vielen ländlichen Gegenden durch seine Lage am Golf von Bengalen und die Steinmetzkunst ein touristisch interessanter Ort und bietet dadurch viele Arbeits- und Verdienstmöglichkeiten.
Es gibt nur wenig echte Armut hier. Natürlich gibt es einige Bettler, aber wenn man sich einige Zeit hier aufhält, erkennt man, wer wirklich bedürftig und wer geschäftstüchtig ist, wie z.B. eine Gruppe von Gipsys, deren Klan gut durchorganisiert Tücher, Ketten, Haschisch an Badegäste verkauft oder bei Vorliegen körperlicher Gebrechen mit leidendem Gesichtsausdruck am Strassenrand bettelt.
(Kind mit Microcephalus (vermindertes Knochenwachstum des Kopfes führt zu Verkümmerung des Hirns), kann wahrscheinlich nicht laufen, bewegt sich wie bei Hospitalismus, wird von seiner Mutter vor einem Tempel zum Betteln eingesetzt, vermutlich der einzige Weg zum Überleben)
Die soziale Rollenverteilung von Mann und Frau ist hier noch tief verwurzelt und es gibt noch keine Freizeitkultur. Das Kennenlernen von Jungen und Mädchen läuft sehr verdeckt ab, Aufklärung ist praktisch nicht vorhanden. Romantische Rollenvorbilder stammen schon mal aus Bollywood und eine verschmähte Liebe führt nicht selten zu Mord oder Selbstmord. Aus amerikanischen Filmen werden sexuelle Anspielungen, Anzüglichkeiten, nackte Haut und leidenschaftliche Küsse herausgeschnitten, in Japan oder China-Actionfilmen werden dagegen blutspritzende Kampfszenen in jedem Detail und jeder Einzelheit in Zeitlupe und Zoomansicht dargestellt. Ich weiss nicht, wie das Verhältnis von arrangierter Ehe zu freier Partnerwahl ist, aber anscheinend ist es üblich, dass die Brauteltern der Tochter eine Mitgift geben, selbst wenn es den Ruin der Eltern bedeutet. In der Landwirtschaft führt das zu immer kleineren Ackerflächen, die irgendwann niemanden mehr ernähren können. Öffentlich waren an den Cafès und Buden immer nur Männer zu sehen, ebenso in den Restaurants und Hotelbars. Keine Ahnung wie sich Partner hier kennenlernen können. Auch am Strand trifft man fast nur Männer, abgesehen von Touristinnen. Viele halten sich
an der Hand, was machen die mit ihren Hormonen?
In der Zeit, in der wir hier waren, schien jeden Tag die Sonne bei ca. 30°C. Das macht das Leben wirklich easy, der Aufwand an Kleidung beschränkt sich auf Hemd, Hose, Flipflops. Frühstück kostet 1,50€, Flasche Wasser 0,25€ und Dinner 2,00€. Alles ist von Gelassenheit und langsamer Bewegung geprägt.
Wer läuft, wird ungläubig bestaunt. Die meisten Inder hier sind relativ fromm und religiös. Man kann eine Spiritulität, ein Wissen um einen Sinn und die Zugehörigkeit zu einem großen Ganzen spüren, die uns in unserer westlichen Alltagswelt fehlt. Bei uns muss man aufpassen, das man sich nicht lächerlich macht, wenn man seine Gedanken über den Sinn unseres Hierseins preisgibt.
Ich bin neugierig geworden und ich denke, ich werde noch einmal wiederkommen, um mehr kennen zu lernen. Der Norden Indiens, der Himalaya, Darjeeling usw. sind Ziele, die ich gerne noch besuchen möchte und natürlich meine hier neu gewonnenen Freunde wiedersehen.
Achja, eine Frage die nicht nur mich bewegt hat war, warum es in keinem Hotel/Guesthouse Klobürsten gibt?
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Tuesday, 1 March 2011
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